Biographische Spuren im politischen Raum: Schirmacher als Politikerin in der Weimarer Republik

von Andrea Hänger

 

Meine erste „Begegnung“ mit Käthe Schirmacher ist gut 20 Jahre her, zunächst als Vorkämpferin des Frauenwahlrechts im Kaiserreich, später als deutschnationale Aktivistin in der Weimarer Republik. Als solche war sie auch eine der Hauptakteurinnen, die ich im Rahmen meiner Doktorarbeit zum politischen Engagement konservativer Frauen betrachtet habe.[1] Dabei finde ich die Frage, wie sich diese kluge und engagierte Frau einem solch extremistischen Programm anschließen konnte, genauso spannend wie unlösbar.

Als Archivarin interessiert mich heute besonders die Frage, welche Spuren sie im politischen Raum hinterlassen hat bzw. wie und ob überhaupt man ihr in den schriftlichen Überbleibseln dieses politischen Raumes, allen voran in den Akten ihrer Partei, der deutschnationalen Volkspartei, noch auf die Spur kommen kann.

Die engagierte Frauenrechtlerin wählte das nationalkonservative Lager als politische Heimat. 1909 wurde sie Mitglied im der Konservativen Partei nahestehenden Deutschen Frauenbund und schloss sich im Ersten Weltkrieg der Vaterlandspartei an. Ihre Überzeugung als „nationale Vorkämpferin des deutschen Ostens“[2] ließ sie in einem politischen Raum agieren, in dem Frauen zwar geduldet, aber keineswegs erwünscht waren. Das änderte sich auch nach der Einführung des Frauenwahlrechtes nicht. Schirmachers Partei, die Deutschnationale Volkspartei, tat sich Zeit ihres Bestehens außerordentlich schwer mit der politischen Teilhabe der Frauen. Die deutschnationale Presse wie auch die Akten der Partei enthalten etliche Hinweise auf die Diskussion in der Partei und so musste die Parteileitung die Frauen manches Mal beschwichtigen, „dass der Parteivorstand durchaus auf dem Standpunkt steht, dass an eine Rückgängigmachung der durch die Revolution den Frauen eingeräumten politischen Rechte nicht gedacht werden kann“[3].

Die Einbeziehung von Frauen in die Parteiarbeit entsprang allein dem politischen Kalkül, durch die Frauen breitere Wählerschichten zu erschließen. Doch das Infragestellen durch die Männer war nicht die einzige Schwierigkeit. Hinzu kam die Tatsache, dass die politisch aktiven Frauen, die wie Schirmacher als Publizistinnen oder hauptamtliche Funktionärinnen arbeiteten, als meist kinderlose, ledige Akademikerinnen keineswegs dem von der Parteiideologie propagiertem Frauenbild entsprachen und einen vollkommen anderen gesellschaftlichen Hintergrund hatten als die Mehrheit ihrer Wählerinnen. Neben der Diskussion um die Teilhabe an politischer Mitsprache trat daher auch immer wieder der Konflikt zwischen „Berufsfrau und Hausfrau“[4]. Schirmacher geht auf diesen Konflikt in zwei interessanten Aufsätzen über die preußische Königin Luise ein. Diese wurde von der politischen Rechten sehr verehrt, aber vorrangig in ihrer Rolle als Mutter und Gattin, die nur ausnahmsweise politisch handelte, oder wie Schirmacher es formuliert, die nur deswegen Anerkennung fand, „weil sie als Gattin und Mutter vorschriftsmäßig weiblich, weil sie Königin war“[5], während politisch handelnde Frauen noch immer als unweiblich wahrgenommen würden. Schirmacher betonte demgegenüber das aus ihrer Sicht Fortschrittliche und Politische an Luise: „Luise war im höchsten Sinne Germanin, Trägerin des Widerstands gegen Frankreich, des preußisch-deutschen Ehrgefühls. Von dieser Linie ist sie nie gewichen und hat dadurch ihre politisch nationale Sendung erfüllt, ihre geschichtliche Größe erwiesen.“[6] Kurz vor ihrem Tod beschrieb sie damit in gewisser Weise ihr Selbstbild.

Um ihre politische Mission zu erfüllen, blieb Schirmacher ihrer Partei, für die sie sich in vielfältigen Funktionen, unter anderem im Parteivorstand, im Reichsfrauenausschuss und in der Geschäftsführung des Deutschvölkischen Reichsausschusses, engagierte, bis zu ihrem Lebensende treu, auch wenn sie sich immer wieder beklagte, zu bestimmten Sitzungen keine Einladungen zu erhalten.[7] Als eine von drei Frauen zog sie für die DNVP 1919 in die Nationalversammlung. Nachdem ihr Wahlkreis Westpreußen an Polen gefallen war, kandidierte sie nicht mehr für die folgenden Reichstagswahlen, u.a. auch deshalb weil ihr zum Beispiel 1924 nur vollkommen aussichtslose Listenplätze angeboten wurden.[8]

Das Register ihrer Wortmeldungen in der Nationalversammlung ist lang, ihr Hauptthema war die Außenpolitik, insbesondere ihre nationalistische Hetze gegen Frankreich und Polen. Besondere Aufmerksamkeit erregte sie mit einer Kranzniederlegung am Denkmal Kaiser Wilhelms I. an dessen Todestag. Die schwarz-weiß-rote Schleife wurde als antirepublikanische Demonstration von der politischen Linken kritisiert. Hier wurde allerdings auch gleichzeitig an ihre politische Vergangenheit erinnert, in dem ihr unterstellt wurde, sie „als aggregée de l’université de Paris“ müsse wohl ihren Patriotismus unter Beweis stellen, um ihre Vergangenheit zu vertuschen.[9]

Wenn der Umgangston auch rau war, so wurde sie in der Nationalversammlung zumindest korrekt als „Frau Abgeordnete“ angesprochen. Der Präsident sprach das Plenum mit „Meine Damen und Herren“ an. In der Sprache der deutschnationalen Partei kamen Frauen hingegen nicht vor. So berichtet der Geschäftsführer der Deutschkonservativen Partei zum Beispiel, dass 10 Herren für den Vorstand der DNVP kandidieren sollten, unter den „Herren“ findet sich aber auch Fräulein Müller-Otfried.[10] Genauso beginnen die Protokolle standardmäßig mit dem Satz „Es waren anwesend die Herren“, auch wenn Frauen unter den Anwesenden waren. Weibliche Beteiligung war nicht vorgesehen, Protokolle und Umgangsformen änderten sich nicht, was es heute umso schwerer macht, den Frauen in der Politik auf die Spur zu kommen. Dabei stellt sich die Frage, wie Schirmacher diesen Umgang selbst empfunden haben mag. Im Nachlass ihres Parteifreundes Gottfried Traub findet sich ein Hinweis auf ihre eigene Haltung.

BArch N 1059/67

BArch N 1059/67

Sie hat ihm einen Briefumschlag zurückgeschickt, den er an sie adressiert hat. Die Anrede „Fräulein“ hat sie in „Frau“ korrigiert, außerdem einen Zettel mit der Aufschrift „Der Volksvertreter ist kein Neutrum. Sie trägt den Titel Frau“ aufgeklebt. In der privaten Korrespondenz war ihr ihre Sichtbarkeit also durchaus ein Anliegen, eine öffentliche Diskussion dazu findet sich nicht. Hier ordnete sie sich ihrer politischen Ziele wegen unter. In diesem politischen Lager war und blieb sie eine Außenseiterin, die auch von ihren politischen Weggefährtinnen oft wegen ihres extremen Nationalismus skeptisch gesehen wurde.[11] Sie machte von ihren Handlungsspielräumen Gebrauch, soweit es ihr der männlich geprägte Politikbetrieb ermöglichte.


[1] Andrea [Süchting-]Hänger, Das „Gewissen der Nation“. Nationales Engagement und politisches Handeln konservativer Frauenorganisationen 1900 bis 1937. Düsseldorf 2002.

[2] So bezeichnet sie Lenore Kühn, eine politische Weggegfährtin in der DNVP, in ihrem Lebenslauf, BArch N 1375/2.

[3] Walter Graef an den Reichsfrauenausschuss der DNVP, 10.02.1919, BArch R 8005/485, fol. 70.

[4] Beda Prilipp, Noch einmal: Aufgaben und Ziele eines nationalen Frauenbundes, BArch R 8034 II/7984, fol. 86 (Deutsche Zeitung vom 1.12.1919).

[5] Käthe Schirmacher, Was ist an Königin Luise vorbildlich?, in: Frauenweckruf 18/3 (1927), 45.

[6] Käthe Schirmacher, Zum 19. Juli, dem Todestag der Königin Luise, in: Frauenkorrespondenz für nationale Zeitungen, Nr. 28, 10.07.1930.

[7] Schirmacher an den Reichsfrauenausschuss, 20.02.1920, BArch R 8005/487, fol. 75.

[8] Süchting-Hänger, 262.

[9] Verhandlungen der verfassunggebenden Nationalversammlung. Stenographische Berichte, Bd. 322, 4827 f.

[10] Bericht des Geschäftsführers vom 13.12.1918, R 8003/2 fol. 15.

[11] Süchting-Hänger, 252.


Zitierempfehlung:

Andrea Hänger, Biographische Spuren im politischen Raum: Schirmacher als Politikerin in der Weimarer Republik, in: Die vielen Biographien der Käthe Schirmacher – eine virtuelle Konferenz, URL: http://schirmacherproject.univie.ac.at/die-vielen-biographien-der-kaethe-schirmacher/statements/andrea-haenger/

 

Readertext

Andrea Süchting-Hänger, "Schirmacher, Käthe" in: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 5-6 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118986589.html

// Verweise zu Publikationen der Statement-Autor_innen zu Käthe Schirmacher finden sich unter Literatur. //

Biographische Notiz

Dr. Andrea Hänger, *1970, Studium der Geschichte, Politikwissenschaften und Germanistik an den Universitäten Freiburg, Grenoble und Göttingen, Promotion zur Geschichte des politischen Engagements konservativer Frauen vom Ersten Weltkrieg bis in die NS-Zeit, seit 2000 im Bundesarchiv, seit Januar 2015 Vizepräsidentin des Bundesarchivs.