'Was ich bin und erkenne, wird völlig entwertet.' [1] - Käthe Schirmacher, eine Feministin als Vordenkerin der Neuen Rechten?
von Gabi Einsele
Käthe Schirmacher durchquerte viele Fronten. Dies führte dazu, dass eine differenzierte Aufarbeitung ihres Werkes bisher weitgehend ausgeblieben ist und sich ihre eigene Prognose über Ent-Wertung und Ver-Kennung ihrer Person und ihres Werkes erfüllt hat. Die Hinwendung zum Konservativismus und deutschnationalem Patriotismus in ihren letzten Lebensjahrzehnten quittierten ihre früheren Mitkämpferinnen des radikalen Flügels der Ersten Frauenbewegung bereits zu Schirmachers Lebzeiten mit Bedauern, Abwehr und Ausgrenzung. Nicht viel anders verfuhr auch die spätere Frauenforschung. Für zeitgenössissche konservative Verfechterinnen der Frauenemanzipation wie Meta von Salis (1855-1929) oder Ella Mensch (1859-1935) war aber z.B. das allgemeine Wahlrecht, und damit auch das Frauenwahlrecht unabhängig von Bildung und Besitz, nicht wirklich wünschbar. Diese Feministinnen verstanden sich als antiliberal und antiegalitär. Sie sahen darin keinen Widerspruch zur Forderung nach einer gleichberechtigten Teilhabe des weiblichen Geschlechts in Wissenschaft, Staat (inkl. Wehrdienst!) und Wirtschaft.
In Übereinstimmung mit Ansichten von Vertretern der konservativen Revolution sah Schirmacher in einer Gemeinschaft gleichberechtigter Bürgerinnen und Bürger oder im Dogma der Gewalt, die immer vom Volk kommen müsse, eine Gefahr, kein wünschbares Ziel für die Zukunft der Menschheit. Eine Gesellschaft, die auf Gleichheit statt auf Hierarchie aufbaut, lehnte sie ab, hielt sie für unnatürlich und der Weiterentwicklung der Menschheit (die letztlich das Ziel war – Nietzsche!) hinderlich. Zur Elite, die einzig zum Führen des Staates berufen war, zählten aber in Schirmachers Augen keineswegs nur Männer. Für begabte und befähigte Frauen forderte sie Chancengleichheit, wobei sie aus ihrem Selbstverständnis auch zu dieser Elite zählte – einer kleinen, ausgewählten Schar von Frauen, die sich zu anderem geboren fühlte, als sich in einer Ehe einem (männlichen) Familienoberhaupt unterzuordnen und sich für eine Schar Kinder aufzuopfern. Schirmacher strebte eine führende Rolle im öffentlichen Leben an. Und sie erreichte ihr Ziel. Dass sie sich in ihren späten Lebensjahren u.a. zeitgeistig typisch mit Äußerungen über die ungerechtfertigterweise allein den Deutschen zugeschobene Schuld am Ersten Weltkrieg profilierte, ist das Eine. Schirmachers Statement deckt sich aber immer mehr mit dem von der heutigen Geschichtswissenschaft erhärteten Zweifel über die Alleinschuld der Deutschen an diesem Krieg. Führten solche Zuschreibungen lange Zeit dazu, dass Personen, die sie äußerten - genau wie Schirmacher - in die rechte oder sogar rechtsextreme Ecke abgeschoben wurden, haben – wenngleich erst in den letzten Jahren – solche Erkenntnisse zunehmend an Akzeptanz gewonnen.
Schirmachers Wende nach rechts rein biographisch erklären zu wollen – aufgrund eines altersbedingten Nachlassens des Widerstandspotenzials oder einer getrübten Wahrnehmung? – greift für mein Dafürhalten ohnehin zu kurz. Schirmacher würde, wäre sie nicht vor 85 Jahren gestorben, heute zur sog. Neuen Rechten zählen. Das Wissen um die Funktionen von Frauen in rechtsgerichteten Organisationen und die Geschichte rechter Frauen und ihrer Traditionen ist nach wie vor dürftig, einseitig und lückenhaft. In der extrem rechten online-Enzyklopädie „Metapedia“ fehlt Käthe Schirmachers Name bemerkenswerterweise nicht. Allerdings wird auf „Metapedia“, mangels eines eigenen Artikels (den man auch dort an sich für wünschbar hielte) der Schirmacher-Beitrag aus der Konkurrenz „Wikipedia“ eingepflegt. Offensichtlich ist zwar auf der rechten Seite des Spektrums ein Bewusstsein darüber vorhanden, dass Schirmacher eigentlich eine der „ihren“ ist – aber die Rechte und erst recht die extreme Rechte misst der Mitwirkung ihrer weiblichen Mitglieder und Sympathisanten keine oder kaum Bedeutung zu. Auch in dieser Hinsicht hat sich Schirmachers Prognose erfüllt. Ihre Leistungen blieben und bleiben ungewürdigt, ungenannt, unerkannt.
Vergeblich suchen wir auch nach einer Aufarbeitung von Schirmachers völkischem Denken im Umfeld dessen, was heute „Ethnopluralismus“ genannt wird – dabei sind die Parallelen augenfällig. Dieser Strömung zufolge ist ein multikulturelles Zusammenleben unerwünscht und problembehaftet. Damit geht aus ethnopluralistischer Sicht (Henning Eichberg) keine Bewertung einher, doch freilich sollen Kulturen in dieser Weltanschauung lediglich ko-existieren, sich aber nicht vermischen. Polen etwa sollen, um im Beispiel einer Äußerung Schirmachers zu bleiben, unter Polen und in Polen leben – und Deutsche unter Deutschen. (Dass ausgerechnet Schirmacher selber über viele Jahre hinweg vom Kulturtransfer profitiert hatte, blendete sie wohl irgendwann aus?)
Die Selbstverständlichkeit, mit der Schirmacher sich als im wörtlichen Sinne „herausragend“ begriff, hat mich seit je an dieser Figur besonders fasziniert. Wie Ella Mensch und Meta von Salis war sie eine der ganz frühen Zürcher Studentinnen, die ihr Leben lang stets nur Frauen geliebt hatte und ihre Homosexualität mit absoluter Selbstverständlichkeit lebte – beruhend auf einem Selbstkonzept, dem das ‚Heulen mit den Wölfen‘ suspekt war und ist? Als ich 1986 zusammen mit anderen Akademikerinnen und Studentinnen aus dem Umkreis des „Vereins Feministische Wissenschaft Schweiz“ (FEMWISS) eine Ausstellung und eine Publikation zum Thema „120 Jahre Frauenstudium“ vorbereitete, fand nicht nur ich die „sperrigen Biographien“, unter diesen frühen Zürcher Studentinnen, u.a. diejenige von Käthe Schirmacher, besonders aufwühlend und anziehend. Warum, war mir damals selber nicht wirklich erklärlich – heute, fast 30 Jahre später, glaube ich mehr darüber zu wissen und es besser nachvollziehen zu können. Denn: Gerade Biographien von Frauen, die dem eigenen Lebensentwurf diametral entgegengesetzt sind, spiegeln ja vielleicht eigene ungelebte Phantasien, Sehnsüchte und Ängste? Dem Studium des italienischen Differenzfeminismus’ verdanke ich die Erkenntnis über die Wichtigkeit des Bemühens, die Unterschiede zwischen Frauen sichtbar und fruchtbar zu machen, und universelle Wahrheiten – damit auch die „Gleichberechtigung“ – zu hinterfragen. Die „Fare Diotima“ Frauen um Luisa Muraro, Chiara Zamboni misstrau(t)en dem Staatsfeminismus und plädieren für das „affirdarsi“. Weibliche Freiheit bedeutet etwas anderes als Gleichstellung. Sich auf das von andern Frauen Gedachte und Gesagte zu beziehen, daran anzuknüpfen und so eine weibliche Tradition der Theoriebildung zu entwickeln, ist für diese feministische Strömung der Schlüssel. Die Auseinandersetzung mit einer Pionierin wie Käthe Schirmacher, die Frauen immer eine zentrale Position in ihrem eigenen Bedeutungshorizont, aber auch in ihrem privaten Leben einräumte, finde ich deshalb vielversprechend.
[1] Käthe Schirmacher, undatierter Tagebucheintrag, vermutlich Ende 1920 oder Anfang 1930, zit. nach Anke Walzer, Käthe Schimacher. Eine deutsche Frauenrechtlerin auf dem Weg vom Liberalismus zum konservativen Nationalismus, Pfaffenweiler 1991, 93.
Zitierempfehlung
Gabi Einsele, "Was ich bin und erkenne, wird völlig entwertet." – Käthe Schirmacher, eine Feministin als Vordenkerin der Neuen Rechten?, in: Die vielen Biographien der Käthe Schirmacher – eine virtuelle Konferenz, URL: http://schirmacherproject.univie.ac.at/die-vielen-biographien-der-kaethe-schirmacher/statements/gabi-einsele/
Readertext
// Verweise zu Publikationen der Statement-Autor_innen zu Käthe Schirmacher finden sich unter Literatur. //
Biographische Notiz
Gabi Einsele, geboren 1956 in Zürich. Studium der Germanistik in Zürich und Heidelberg, abgeschlossen mit dem Lizentiat (Mag.Art.). Mitherausgeberin des Begleitbands zur Ausstellung "120 Jahre Frauenstudium an der Universität Zürich" (eFeF-Verlag Zürich, 1988). Langjähriges Mitglied im Verein FemWiss Schweiz. Verschiedene Beiträge über frühe Zürcher Studentinnen sowie über Autorinnen und Autoren des frühen 20. Jahrhunderts (u.a. Franz Blei, Ella Mensch, Ella Kretschmer). Letzte Publikation: "La colonia de habla alemana en Cala Rajada 1931-1936", in: Gabi Einsele, Maria Massanet, Gregori Rexach, "El temps s'esmicola" (Capdepera/Mallorca 2015). Seit 12 Jahren in der Erwachsenenbildung als Kursleiterin tätig.